«Gerne, aber …» – Vorbehalte und Antworten darauf

Qualifizierte Jugendliche mit ausländischer Herkunft verdienen eine faire Chance. Sie sollten nicht von vornherein in einem schlechteren Licht stehen. Mancherorts haben Jugendliche ausländischer Herkunft jedoch keinen besonders guten Ruf. Es kann herausfordernd sein, jeder Bewerbung mit der angestrebten Offenheit und Fairness zu begegnen, wenn Fragezeichen in der Luft, im Betrieb oder in den eigenen Gedanken kursieren.

Hier einige Antworten auf häufig gestellte Fragen:

Würden Sie Jugendliche ausländischer Herkunft anstellen? «Gerne, aber …»

  • Es gibt qualifizierte Jugendliche, deren Eltern schlecht integriert sind oder nicht genügend Deutsch können. Eine gute Kommunikation mit der Familie soll aufgebaut werden, bevor Probleme entstehen. Ein paar Strategien:

    • In vielen Familien übernehmen gut integrierte ältere Geschwister oder ein/e Cousin/e diese Rolle. Fragen Sie nach, mit wem von der Familie man reden soll. Mit wem redet die Lehrperson?
    • Der Beizug interkultureller Vermittler/innen oder Mediator/innen (speziell für diese Aufgabe ausgebildete Dolmetscher/innen) vereinfacht das Gespräch. Sie verfügen über das notwendige Wissen, um den kulturellen Hintergrund beider Parteien zu verstehen. In jedem Kanton gibt es einen Vermittlerdienst. http://inter-pret.ch/
    • Gibt es jemanden im Betrieb, der mit den Eltern eine Sprache teilt und übersetzen kann? Bei heiklen Gesprächen muss jedoch die Vertraulichkeit ausdrücklich gewährleistet werden, so dass keine Gerüchte entstehen.
  • Manchmal reichen die Bewerbung, ein Schnuppertag und das Vorstellungsgespräch nicht aus, um den Charakter eines Menschen zu erfassen. Man ist mehr oder weniger von einer Bewerbung überzeugt, will das jedoch näher überprüfen. Am einfachsten ist es, Referenzen zu kontaktieren. Wenn die Referenzen nicht reichen, lässt eine Schnupperwoche die Arbeitshaltung gut überprüfen.
  • Andere Länder, andere Sitten. Erklären Sie unter vier Augen sofort und direkt, was ganz konkret erwartet wird: Grussformen, Höflichkeit, Pünktlichkeit usw. Lernende müssen wissen, was dem Betrieb wichtig ist, aber auch, dass sie bei Unsicherheiten fragen dürfen. Wenn Sie als Lehrmeister/in z. B. Fragen zur Religion haben, können Sie diese thematisieren: Inwiefern könnte die Religion die Arbeit beeinflussen, wie wird der Ramadan eingehalten, gibt es wichtige Essensregeln etc? Lösungen sind leicht zu finden, wenn Fragestellungen früh eruiert werden.
  • Es gibt viele Jugendliche, die das Praktische gut meistern können, aber die schulische Leistung lässt zweifeln. Heutzutage gibt es meistens samstags oder an Abenden an jeder Berufsfachschule Stützkurse und Förderkurse für Deutsch, Mathe und andere Fächer. So können Lücken gestopft werden. Vereinbaren Sie schriftlich den Besuch der Kurse, falls angebracht. Wenn dies nicht reicht, werden neu in vielen Berufen «Grundbildungen mit Attest» (EBA) als Ersatz für die frühere Anlehre entwickelt. Die Attest-Ausbildung lässt den Lernenden mehr Zeit, bietet auch einen qualifizierten Abschluss und die Möglichkeit, das Fähigkeitszeugnis (EFZ) nachher anzuhängen. Weitere Infos finden Sie unter: http://www.berufsberatung.ch/dyn/1211.asp
  • Möchten Sie jemanden mit ausländischer Herkunft anstellen, haben aber Bedenken wegen Mitarbeitenden mit fremdenfeindlichen Einstellungen? In der Schweiz herrscht ein breites Spektrum von Meinungen zur Migration und Integration. Manche hatten eine schlechte Erfahrung mit ausländischen Jugendlichen oder haben solche Geschichten mitbekommen. Auch wenn es Jugendliche gibt, die Grenzen übertreten haben, sollen nicht alle in den gleichen Topf geworfen werden.
    Falls jemand im Betrieb etwas gegen eine Herkunft hat, fragen Sie ihn ruhig nach seiner Meinung und seinen Erlebnissen. Wenn er Schlimmes erlebt hat, kann man Verständnis zeigen, aber auch darauf hinweisen, dass andere Jugendliche der gleichen Herkunft trotzdem eine Chance verdienen. Wir alle möchten, dass sich die Jugendlichen besser integrieren und nicht auffällig werden. Beste Voraussetzung dafür ist eine abgeschlossene Ausbildung. Erklären Sie, dass Jugendliche ausländischer Herkunft ein Potenzial haben, auf welches auch Ihr Betrieb nicht verzichten sollte. Schliesslich müssen alle im Betrieb und insbesondere die Leitung dafür sorgen, dass Chancengleichheit, nicht Intoleranz, zur Firmenkultur gehört. Fairness ist ein Anker unserer Wirtschaft, unserer Gesellschaft, unserer Demokratie.
  • Manche haben noch nicht verstanden, dass Chancengleichheit gut für die Wirtschaft und die Gesellschaft ist. Sie merken nicht, dass jede vierte Lehre von Jugendlichen ausländischer Herkunft gemacht wird. Vielleicht denken sie an Zeiten zurück, wo nur wenige Jugendliche überhaupt eine Lehre gemacht haben. Heute schliessen 90 Prozent jedes Jahrgangs mindestens eine Berufslehre ab. Nur so kann die Schweiz wettbewerbsfähig bleiben. Wer nach der Schule keinen Anschluss findet, entwickelt oft Probleme mit sich selber oder mit der Umgebung. Das kommt für alle teurer.
    Zeigen Sie Zivilcourage! Wenn solche Bemerkungen kommen, hören Sie ruhig zu und lassen Sie sich nicht provozieren. Sie wissen, Sie haben es richtig gemacht. Fragen Sie nach, welche Lösungen die anderen sehen. Erklären Sie: Auf das Potenzial der Jugendlichen ausländischer Herkunft wird die Schweiz nicht verzichten können. Wer bezahlt z. B. unsere AHV?
  • Manche Jugendliche sind qualifiziert, einen Beruf zu lernen, besitzen jedoch weder eine Niederlassungsbewilligung (C) noch eine Aufenthaltsbewilligung (B). Sie sind «vorläufig aufgenommen» mit Bewilligung F und bleiben in der Regel mehrere Jahre, zum Teil sogar Jahrzehnte in der Schweiz (zum Beispiel wäre eine Rückkehr für somalische Jugendliche unzumutbar, weil dort weiter Chaos und Bürgerkrieg herrschen). Diese Jugendlichen sind gleichgestellt und bekommen in der Regel eine kantonale Bewilligung für die Ausbildung.
    Lassen Sie sich nicht wegen eines Formulars von der Anstellung eines geeigneten Jugendlichen abschrecken! Die Ausbildung eines vorläufig aufgenommenen Jugendlichen ist ein wichtiger Beitrag. Das kantonale Berufsbildungsamt oder die lokale Berufsberatung kann bei den Formalitäten behilflich sein. Wenn das nicht der Fall ist, können Sie die Beratungsstelle von NCBI Fairness kontaktieren (schweiz@ncbi.ch).


«Ich will nur das machen! Das ist mein Traumberuf.»
Ivana Sikovska, Detailhandelsfachfrau, 1. Lehrjahr

«Ich spreche perfekt Englisch und Deutsch und verstehe Philippinisch.»
Audrey Moreno, Hochbauzeichnerin, 1. Lehrjahr

«Nach der BMS möchte ich an die FH oder an die Dolmetscherschule.»
Fatima Itani, KV, 2. Lehrjahr

«Ich habe ein klares Ziel nach der Lehre: Die Ausbildung zur Pflegefachfrau.»
Mirvete Bislimi, Fachangestellte Gesundheit, 2. Lehrjahr

«Auch die ausländischen Jugendlichen sollen Erfolgserlebnisse haben können, sie sind ein Teil unserer Gesellschaft.»
Werner Sitzer, Möbelschreiner, Berufsbildner